Kennt ihr dieses Gefühl? Dieses ganz bestimmte, flaue Gefühl in der Magengegend, wenn ihr genau wisst: „Verdammt, das Geschäft könnte brummen, aber ich kann das Material nicht bezahlen“?
Mir ging es früher genauso und ich höre es jede Woche von dutzenden Unternehmern. Du hast die Aufträge. Die Kunden rennen dir quasi die Bude ein oder die Weihnachtssaison steht vor der Tür. Du weißt zu 100%, dass du alles verkaufen wirst. Aber deine Lieferanten wollen Kohle sehen. Jetzt. Sofort. Oder spätestens in 14 Tagen mit Skonto (was man ja auch gerne mitnimmt).
Aber dein Geld? Das steckt noch in den unbezahlten Rechnungen vom letzten Monat oder im Lagerbestand der Sommersaison.
Das ist die klassische Liquiditätsfalle. Und genau darum soll es heute gehen. Wir schauen uns an, warum ein Betriebsmittelkredit für die Warenvorfinanzierung oft die schlauere Wahl ist, als das eigene Konto bis zum Anschlag zu überziehen.
Das Problem: Wenn Wachstum weh tut
Es klingt paradox, oder? Man wächst, man macht Umsatz, aber auf dem Konto sieht es aus wie in der Wüste Gobi. Trockenheit pur.
In der BWL nennt man das den „Cash Conversion Cycle“. Aber ganz ehrlich, BWL-Begriffe zahlen keine Rechnungen.
Die Realität sieht so aus:
- Du bestellst Ware (Geld fließt raus).
- Die Ware kommt ins Lager (Geld ist gebunden).
- Du verkaufst die Ware (Forderung entsteht).
- Der Kunde zahlt endlich (Geld fließt rein).
Zwischen Punkt 1 und Punkt 4 können locker 3 bis 6 Monate vergehen. Wenn du in dieser Zeit wachsen willst, musst du doppelt so viel Ware bestellen. Das bedeutet, du brauchst Geld, das du noch gar nicht verdient hast.
Viele rennen dann panisch zur Hausbank und betteln um eine Erhöhung des Kontokorrentkredits (Dispo für Firmen). Und genau da fangen die Probleme meistens an.
Warum der Kontokorrent oft eine Sackgasse ist
Versteht mich nicht falsch, ein „Konto-Korrent“ (KK) ist super für die Miete oder mal ne schnelle Reparatur. Aber er ist teuer. Schweineteuer teilweise. Und das Schlimmste: Er ist oft „starr“.
Wenn du deine Kreditlinie auf dem Girokonto dauerhaft am Limit fährst, macht das deine Bank nervös. Das Rating rutscht ab, die Zinsen steigen noch mehr. Ein Teufelskreis. Außerdem fehlt dir dann die Luft zum Atmen, wenn wirklich mal was Unvorhergesehenes passiert, wie eine kaputte Maschine.
Deshalb predige ich immer: Nutzt für das Tagesgeschäft und den Wareneinkauf einen separaten Betriebsmittelkredit.
Der „Gamechanger“: Gezielte Warenvorfinanzierung
Ein Betriebsmittelkredit ist im Grunde nichts anderes als ein Darlehen, das speziell dafür da ist, dein „Umlaufvermögen“ zu finanzieren. Also alles, was du brauchst, um den Laden am Laufen zu halten: Rohstoffe, Handelswaren, Personal im Voraus.
Der riesige Vorteil ist die Struktur.
Anders als bei einer Investition (z.B. neue Halle bauen), wo du über 10 oder 20 Jahre tilgst, läuft ein Betriebsmittelkredit meist kurz- bis mittelfristig. Er atmet mit deinem Geschäft.
Stell dir vor, du nimmst jetzt 50.000 Euro auf, um das Lager für das Weihnachtsgeschäft vollzumachen.
Du kaufst die Ware, verkaufst sie im Dezember ab und zahlst den Kredit im Januar zurück. Fertig.
Die Zinsen, die du dafür zahlst, sind im Vergleich zum entgangenen Umsatz (wenn du „Out of Stock“ gewesen wärst) ein Witz.
Ein kleines Rechenbeispiel aus der Praxis:
Du kaufst Ware für 10.000 €.
Marge: 30%. Verkaufspreis also 13.000 €.
Kosten für den Kredit über 3 Monate: vielleicht 150 – 250 €.
Gewinn mit Kredit: ca. 2.750 €.
Gewinn ohne Kredit (weil Ware nicht gekauft): 0 €.
Merkst du was? Schulden sind nicht immer böse. „Gute Schulden“ helfen dir, Geld zu verdienen.
Aber Alex, krieg ich den Kredit überhaupt?Das ist die Frage aller Fragen die mir am häufigsten gestellt wird. Viele haben Angst vor der Ablehnung. „Meine BWA sieht gerade nicht so rosig aus“, sagen sie.
Hier ist die Wahrheit: Banken und spezialisierte Finanzierer lieben Sicherheiten. Aber bei der Warenvorfinanzierung ist die Sicherheit oft die Ware selbst.
Es gibt mittlerweile coole FinTechs und Spezialbanken, die schauen gar nicht mehr nur stur auf deine Bilanz von vor zwei Jahren. Die schauen auf dein Warenlager und deine Bestellungen. Wenn du nachweisen kannst: „Hey, ich habe hier feste Aufträge von Amazon oder einem Großkunden“, dann ist das bares Geld wert. Das nennt man dann auch Einkaufsfinanzierung oder Finetrading.
Was du vorbereiten musst (Die „Hausaufgaben“)
Damit das klappt, und du nicht wie ein begossener Pudel wieder weggeschickt wirst, brauchst du ein paar Unterlagen. Ja, ich weiß, Papierkram nervt. Ich hasse es auch. Aber ohne gehts halt nicht.
- Aktuelle BWA (Betriebswirtschaftliche Auswertung): Die sollte nicht älter als 2 Monate sein. Wenn du im November mit Zahlen vom März ankommst, lacht dich der Banker aus.
- Summen- und Saldenliste (SuSa): Zeigt genauer, wo das Geld steckt.
- Auftragsliste / Planumsatz: Zeig denen, dass du die Ware auch loswirst! Das ist der wichtigste Punkt den viele vergessen. Eine realistische Liquiditätsplanung wirkt Wunder.
Habt Mut zur Lücke (aber finanziert sie!)
Hört auf, euer Wachstum zu bremsen, nur weil ihr Angst habt, Fremdkapital aufzunehmen. Ein Betriebsmittelkredit ist ein Werkzeug. Wie ein Hammer. Man kann sich damit auf den Daumen hauen, wenn man dumm ist, aber man kann damit auch ein Haus bauen.
Wenn ihr merkt, dass eure Liquidität knirscht, weil die Auftragsbücher voller sind als das Bankkonto, dann ist es Zeit zu handeln. Wartet nicht, bis das Konto im Minus ist und die Bank anruft. Agiert proaktiv.
Sucht euch den passenden Partner für einen Betriebsmittelkredit, kauft die Ware ein, nehmt den Skonto bei den Lieferanten mit (das allein deckt oft schon die Kreditzinsen!) und startet durch.