Factoring Erfahrung: Warum ich aufgehört habe, Bank für meine Kunden zu spielen
Kennt ihr dieses Gefühl? Ihr habt einen Job erledigt. Ihr habt geliefert. Der Kunde ist glücklich. Ihr schreibt die Rechnung.
Und dann passiert… nichts.
14 Tage vergehen. 30 Tage.
Du guckst aufs Konto: Nichts.
Du rufst an: „Ja, ja, ist in der Buchhaltung.“
Ich sage es ganz offen: Ich habe es so satt.
Wir Unternehmer gehen in Vorleistung, bezahlen unser Team, kaufen Material – und dann müssen wir unseren Kunden hinterherlaufen, damit sie uns bezahlen. Im Grunde spielen wir Bank für unsere Kunden, indem wir ihnen zinslose Kredite über 30 oder 60 Tage gewähren. Vor ein paar Monaten hatte ich die Schnauze voll. Ich hatte Außenstände von fast 40.000 Euro. Auf dem Papier war ich reich, auf dem Konto war ich kurz vor der Panikattacke. Da habe ich mich an ein Thema getraut, das ich immer für „nur was für Konzerne“ hielt: Factoring.
Heute erkläre ich euch, wie ich meine Rechnungen jetzt einfach verkaufe, warum das Geld oft schon am nächsten Tag da ist und warum meine Kunden das gar nicht stört.
Was ist Factoring überhaupt? (Kurz & Knapp)
Vergesst das Bankendeutsch. Es ist ganz simpel:
Du hast eine Forderung (Rechnung) an einen Kunden über 10.000 €.
Statt darauf zu warten, dass der Kunde zahlt, verkaufst du diese Rechnung an einen Anbieter (den Factor).
- Du lädst die Rechnung hoch.
- Der Factor überweist dir sofort ca. 80–90 % (manchmal auch 100 %) der Summe.
- Der Factor holt sich das Geld später vom Kunden.
Das war’s. Aus einer Forderung wird sofort Cash. Kein Kredit, keine Schulden. Du wandelst nur einen Vermögenswert (die Rechnung) in Geld um.
Meine erste Erfahrung: „Merkt der Kunde das?“
Das war meine größte Sorge. Ich dachte: Wenn meine Kunden sehen, dass ich die Rechnung an eine Firma abgebe, denken die, ich stehe kurz vor der Pleite.
Ich habe mich für einen Anbieter entschieden, der sich auf KMUs spezialisiert hat (es gibt da einige gute Player wie Billie, aifinyo oder Decai – ich habe Billie getestet, weil es digital ging).
Es gibt zwei Arten:
- Offenes Factoring: Auf der Rechnung steht ein neuer Überweisungsträger. Der Kunde sieht es.
- Stilles Factoring: Der Kunde überweist auf ein Konto, das dir gehört (aber im Hintergrund an den Factor verpfändet ist). Er merkt gar nichts.
Ich habe mich für das offene Verfahren entschieden. Warum? Weil es billiger ist und ich dachte: „Komm Alex, sei ehrlich.“
Ich habe einfach einen kleinen Satz auf die Rechnung geschrieben: „Die Abrechnung erfolgt über unseren Finanzpartner XYZ.“
Wisst ihr, was passiert ist?
Nichts.
Kein einziger Kunde hat angerufen. Es ist mittlerweile so normal im Geschäftsleben, dass es niemanden mehr juckt. Im Gegenteil: Viele große Firmen machen das selbst.
Der echte Vorteil: Schutz vor dem Totalausfall
Jetzt kommt der Punkt, der für mich noch wichtiger ist als die schnelle Kohle. Das sogenannte echte Factoring beinhaltet einen Ausfallschutz (Delkredereschutz).
Das heißt im Klartext:
Wenn ich die Rechnung an den Factor verkaufe und der Kunde geht zwei Wochen später pleite… ist das nicht mehr mein Problem.
Ich darf das Geld behalten. Der Factor trägt das Risiko.
Alleine dafür lohnt sich die Gebühr schon, wenn man mit neuen, unbekannten Kunden arbeitet. Ich schlafe seitdem wie ein Baby, auch wenn ich Aufträge für wackelige Startups mache.
Was kostet der Spaß? (Butter bei die Fische)
Natürlich machen die Anbieter das nicht aus Nächstenliebe.
Die Kosten setzen sich meistens zusammen aus:
- Factoringgebühr: Ein Prozentsatz vom Umsatz (bei mir waren es ca. 2,5 %).
- Prüfgebühr: Manchmal pro Schuldner.
Rechnen wir mal:
Rechnung: 10.000 €
Gebühr (ca.): 250 €
Ich bekomme also „nur“ 9.750 €.
Aber ich habe die 9.750 € morgen.
Wenn ich 60 Tage auf die 10.000 € warten muss und in der Zeit meinen Dispo (12 % Zinsen, siehe letzter Artikel!) nutzen muss, kostet mich das Warten fast genauso viel – plus den Stress und das Risiko, dass der Kunde gar nicht zahlt.
Für mich ist dieser „Rabatt“ von 2-3 % absolut okay für den Service „Geld sofort & Risiko weg“.
Für wen lohnt sich das?
Nach meinem Test muss ich sagen, Factoring ist nicht für jeden was.
Perfekt für:
- Dienstleister, Agenturen, Handwerker (B2B).
- Firmen mit langen Zahlungszielen (wenn Kunden sich 45+ Tage Zeit lassen).
- Wachstumsphasen (wenn man den Umsatz von heute braucht, um das Material für morgen zu kaufen).
Nicht geeignet für:
- B2C (Rechnungen an Privatpersonen werden von den meisten Online-Factoring-Anbietern nicht akzeptiert).
- Barzahler-Geschäfte (Kiosk, Gastronomie).
- Winzige Rechnungen (unter 100 € lohnt sich der Aufwand oft nicht, wobei manche Fintechs das mittlerweile auch automatisiert machen).
Ein Baustein, nicht die ganze Mauer
Ich factore nicht jede Rechnung. Bei meinen Stammkunden, die immer nach 3 Tagen zahlen, spare ich mir die Gebühr. Aber bei Neukunden oder großen Brocken, die meine Liquidität binden würden? Immer wieder. Es ist ein geniales Gefühl, die Rechnung abzuschicken und zu wissen: Übermorgen ist Zahltag. Egal wann der Kunde sich bequemt. Das gibt einem eine unglaubliche Macht zurück. Wir sind keine Bittsteller mehr